Die Entschlossenheit des Sperlings

Eine indische Erzählung

Es bedarf ständiger Übung, um die Erfahrung inneren Friedens und Ausgeglichenheit (shanti) in sich aufleben zu lassen. In dieser Hinsicht gleicht der Yogi einem Sportler, der täglich seine Übungen ausführt, um seine Muskelkraft anwachsen zu lassen. Wird er dabei nachlässig oder lässt sie sogar ganz ausfallen, verkümmern die Muskeln.

Ständig bereit zu sein, sich zu üben, fällt nicht immer leicht. Doch bietet die vielfältige Weisheitsgeschichte Indiens, dem mutlosen Yogi manche Gelegenheit, aus der er neue Kraft schöpfen kann. So auch die Erzählung des kleinen Sperlingweibchens:

Ein Sperlingweibchen legte seine Eier am Ufer des Ozeans ab. Doch als sich der Ozean ausdehnte, trugen die Wellen die Eier mit sich davon. Der kleine Vogel war sehr aufgeregt und traurig, als er seine Eier verloren sah und er bat den Ozean, ihm die Eier wieder zurückzubringen. Doch in seine eigene Größe vertieft, nahm der Ozean weder den kleinen Vogel, noch sein Flehen wahr. Ja, er beachtete ihn nicht einmal.

Der kleine Vogel fasste darauf den Entschluss, den Ozean mit seinem Schnabel leer zu schöpfen und auszutrocknen. Ohne sich von dem Gedanken bremsen zu lassen, sein Bemühen könnte aussichtslos sein, begann er mit der beschwerlichen Arbeit und trug einen Schnabel Wasser nach dem anderen aus dem Ozean. Als die anderen Lebewesen sein Tun sahen, lachten sie über sein Vorhaben. Doch der kleine Vogel ließ sich nicht beirren und so verbreitete sich seine Geschichte rasch. Schließlich kam sie auch Garuda zu Ohren, dem gefiederten Träger Sri Vishnus. Um sich selber ein Bild von der Angelegenheit zu machen, begab er sich persönlich zum Ufer des Ozeans und sah dort seine kleine Vogelschwester beim Versuch, den Ozean mit ihrem kleinen Schnabel auszutrocknen, um ihre Eier wieder zu erhalten. Dieses Bild berührte sein Herz und auch die Entschlossenheit des kleinen Vogels beeindruckten ihn sehr. Er entschloss sich, dem Sperling beizustehen und befahl dem Ozean, die Eier zurückzugeben. Falls der Ozean sich weigern würde, so drohte Garuda, würde er selbst mit seinem mächtigen Schnabel die Arbeit des Sperlings übernehmen und den Ozean binnen kurzem austrocknen. Da erschrak der Ozean und ohne Zögern gab er dem kleinen Sperling die Eier zurück.