Die Erbschaft

(Niedre, 1958)

In einem kleinen Städtchen in Lavita, nahe der Hauptstadt Riga, welche zufälligerweise mein Geburtsort ist, lebte einstmals ein Vater mit seinen drei Söhnen. Von den beiden Älteren wurde gesagt, sie wären schlaue Burschen. Der Dritte jedoch sprach und tat sehr einfach, so dass jedermann dachte, der Junge sei ein Dummkopf.
Eines Tages beschloss der Vater, am Rande seines Weidelandes ein Hüttchen zu bauen. Als das kleine Haus fertiggestellt war, rief er seine Söhne zusammen und sagte zu ihnen: “Ich will dieses Häuschen demjenigen von euch schenken, der in der Lage ist, sie vollständig auszufüllen. Nicht einmal ein kleiner Fleck darf frei bleiben.”
Ohne einen Moment zu zögern, sagte der älteste Sohn: “Ich weiß genau das richtige für diesen Zweck.” Und er eilte hinaus, um sich ein Pferd zu kaufen. Als er mit dem Tier in das neue Häuschen zurückkehrte, füllte es nur gerade eine einzige Ecke des Raumes aus.
Unvermittelt brach der zweite Sohn auf und sprach im Vorbeieilen: “Ich weiß genau das richtige, das dieses Haus ausfüllen wird.” Er kehrte mit einer großen Ladung Heu zurück, die er in das neue Hüttchen schleppte. Doch das Heu füllte nur die Hälfte des kleinen Hauses aus.
Der jüngste Sohn kratzte sich den Kopf und sann nach ...
“Ich denke, nun ist es an mir, mein Glück zu versuchen,” sagte er langsam und stapfte in Richtung Städtchen davon. Dort spazierte er den Rest des Tages umher und hielt nach etwas Passendem Ausschau. Gegen Abend, als aus den Fenstern des Dorfes die Lichter zu scheinen begannen, schlug sich der junge Bursche unvermittelt die Hand an seine Stirn und lachte laut auf. “Nun weiß ich genau, was passend ist, um diesen Zweck zu erfüllen!” rief er aus.
Er kaufte eine Kerze und eilte zu der neuen Hütte. Als er drinnen war, zündete der Bursche die Kerze an - und die ganze Hütte wurde mit Licht erfüllt, bis hinein in jedes winzigste Pfitzelchen. Und so gewann der einfache Sohn, von dem jeder glaubte, er sei ein Dummkopf, das neue kleine Häuschen für sich.