Die verschenkte Mohrrübe

Gehört und wiedergegeben

Ihrem Körper beraubt, irrte die arme Seele eines Verstorbenen in der Zwischenwelt der Geister umher, bis sie schließlich hinter einem Nebel verborgen einen Handgriff entdeckte, der mit einer Glocke verbunden zu sein schien. Neugierig was geschehen würde, zog sie daran und siehe da: Es war die Glocke zum Himmelstor.

Der Himmelshüter blickte durchs Fenster herab und fragte, was sie denn Gutes getan habe, um dessentwillen sie nun hier im Himmel Einlass begehre. Da schauderte es die arme Seele ein wenig, und hätte sie noch einen Körper gehabt, wäre sie ganz rot vor Scham geworden. Denn so sehr sie sich auch an eine einzige gute Tat zu erinnern suchte, sie konnte keine finden. Hilflos und auch etwas trotzig, schwieg sie deshalb still und konnte keine Antwort finden.

“Nun warte, ich will einmal nachsehen”, sagte der himmlische Pförtner freundlich, nahm sein grosses Buch zur Hand und schlug darin nach. “Aha, da steht es”, sagte er beruhigend, “Du hast einmal eine Mohrrübe verschenkt. Nun denn, an dieser Mohrrübe will ich dich jetzt in den Himmel hinaufziehen.”

An einem feinen Faden ließ er sachte eine Mohrrübe herunterschweben bis an die Stelle, wo die arme Seele stand. Diese umklammerte in inbrünstiger Umarmung die Mohrrübe, und was sie nicht mehr zu hoffen gewagt hatte geschah: sie wurde aufgehoben und schwebte bald weit über dem Erdboden. Plötzlich fühlte die Seele , dass sie nicht alleine war und jemand sie ergriffen hatte. Sie blickte an sich hinunter und entdeckte noch ein zweites Wesen, das noch dürftiger als sie selber war, und sich hilflos und verzweifelt an ihre Gebeine festgehakt hatte, um auch mit in den Himmel zu kommen.

Doch die arme Seele kannte keine Kameradschaft und konnte kein Mitleid mit der anderen empfinden. Vielmehr rief sie ganz empört: “Das ist MEINE Mohrrübe!”