Die kleine Quelle

Nach einem Text von Gerhard Schöne

Vor langer Zeit - oder geschieht es gar erst jetzt? - darbte ein ganzes Land unter sengender Sonne und Dürre. Wolken hatte man dort schon lange nicht mehr gesehen und der Regen schien verbannt. Die Tiere und Pflanzen litten sehr und langsam griff das Sterben immer weiter um sich. Zuerst war es das Gras, das sein Grün verlor, gelb und braun wurde, bis es schließlich zu Staub zerfiel. Die Büsche hielten es ein wenig länger aus. Zwar hatten sie alle ihre Blätter und Knospen verloren und standen dürr und trocken da. Aber der Wind heulte noch durch ihr Gerippe. Selbst die Bäume verdorrten langsam und die Blätter fielen braun ab, obwohl sie noch jung waren.

Tierkarawanen sah man durchs Lande ziehen. Sie schleppten sich mühsam dahin, um der Wüste zu entkommen. Doch viele waren bereits zu schwach und überall lagen die Skelette der Tiere, die dem Tod zum Opfer fielen.

Auch die Brunnen, die für solche langen Dürrezeiten tief in die Erde gegraben waren, trockneten langsam aus und in der Tiefe fand sich bestenfalls noch etwas brackiges Wasser. Gleich neben einem der Brunnen stand ein alter Baum, der seine Wurzeln tief ins Erdreich geschlagen hatte. Er schien stark und unbeugsam, aber die Sonne brannte auch seinen Lebenshauch langsam aus. Wie in einem Wunder wuchs in seinem Schatten eine kleine Blume. Der Baum spendete ihr genug Schatten, und eine kleine Quelle bemühte sich, der Blume mit ihrem wenigen Nass das Leben zu erhalten.

Doch als nun der Tod auch nach dem alten Baum griff, der ihr so gross und unüberwindlich erschien, verlor die kleine Quelle ihren Mut. Ringsumher sah sie wie die Dürre alles Leben vernichtete und sich nach der letzten Blume streckte. Sie spürte bereits, wie ihr Quell ins Stocken kam und sprach entmutigt: "Was ich tue, hat keinen Sinn! Ich kann die Wüste doch nicht aufhalten!"

Der alte Baum aber, der bereits im Sterben lag, entgegnete der Quelle fest: "Versprich mir auf der Stelle, dass du dich weiter bemühen wirst. Gib dich nicht der Verzweiflung hin. Du kannst zwar nicht die ganze Wüste bewässern und auch nicht die ganze Welt verbessern. Aber dieser einen Blume kannst du Wasser schenken. Darin liegt dein Sinn!"